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Interview mit dem Leipziger Stadtmagazin Kreuzer

Die Fragen stellte Rebekka Jay. Im Kreuzer wird wahrscheinlich im Juni 2006 eine gekürzte Version veröffentlicht werden.


Weitere Interviews,

die unsere Meinung zum Thema Arbeit und unsere Intentionen erläutern, warum es die Absageagentur gibt.
Mit der italienischen Internetzeitschrift InvisibiliInterview_invisibili
und mit dem Internetmagazin quick and dirty (http://quickanddirty.politicide.net) Interview_quick


Erstmal zu dir persönlich: wie alt bist du? Was machst du? Studieren? Wenn ja was?
Die Absageagentur mache ich gemeinsam mit Katrin Lehnert. Sie ist 29 Jahre alt und schließt gerade ihr Studium in Europäischer Ethnologie mit einer Analyse des Diskurses über den Sozialschmarotzer ab. Ich bin 37 Jahre alt, geld- und nicht arbeitslos und habe Kulturwissenschaft und Philosophie studiert.


Ihr setzt Euch auf eine ungewöhnliche Weise mit dem Thema Prekarisierung von Arbeit, Generation Praktikum etc. auseinander. Wie funktioniert euer Projekt bzw. was bietet die Absageagentur an?
Zuerst möchte ich feststellen, dass nicht die Arbeit prekär ist, sondern immer mehr die Lebensverhältnisse der Lohnabhängigen. Lohnabhängig sind alle, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, sei es dass sie gerade Arbeit haben oder nicht. Die Absageagentur bietet die Möglichkeit, anstatt mit Bewerbungen auf aktuelle Stellenanzeigen mit Absagen zu antworten. Zum Service der Absageagentur gehört, bei der Formulierung der Absagen zu helfen, diese kostenlos zu verschicken und den geschriebenen Absagen eine Öffentlichkeit zu bieten, indem wir sie auf unserer Internetseite (www.absageagentur.de) veröffentlichen oder im Rahmen von Diskussionsveranstaltungen und Lesungen präsentieren. Auf diese Weise und auch durch andere Veranstaltungen wollen wir zur Meinungsbildung über die Prekarisierung der Lebensverhältnisse durch Arbeit beitragen.

Wie ist die Idee entstanden? Protagonisten, Hintergründe etc…
Die Idee zur Absageagentur ist im Vorfeld der Einführung von Hartz IV entwickelt worden. Sie ist simpel und besteht aus einer einfachen Umkehrung. Anstatt "Ja und Amen und Danke" zu sagen für jede schlecht bezahlte Arbeitsstelle, die einem angeboten oder durch den verschärften Arbeitszwang unter Hartz IV aufgezwungen wird, bieten wir den Service an, NEIN zu sagen. Dies gilt auch für verschlechterte Arbeitsbedingungen von Arbeitsplatzbesitzer/innen und generell für das Prinzip, seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen. Uns scheint die Möglichkeit, bestimmte Arbeitsbedingungen oder Arbeit an sich abzulehnen, im gesellschaftlichen Diskurs überhaupt nicht mehr vorhanden zu sein. Wenn diese Widerstandsmöglichkeit aber nicht mehr vorhanden ist, wird die durch Hartz IV und die Einführung eines Niedriglohnsektors beschleunigte Verschlechterung der Lebensbedingungen von Lohnabhängigen zur Abwärtsspirale. Wenn z.B. immer mehr Menschen unbezahlte Praktika, 1-Euro Jobs oder schlechte Arbeitsbedingungen akzeptieren, stellt sich für die Unternehmen die berechtigte Frage, warum sie nicht immer mehr solcher Stelle schaffen sollen. Wir wollen allerdings nicht den Eindruck vermitteln, dass es leicht wäre, sich der Fetischisierung von Arbeit zu entziehen und einfach mal so eine Arbeit abzulehnen. Es besteht ja für Lohnabhängige gerade der ökonomische Zwang ihre Arbeitskraft verkaufen zu müssen, um überleben zu können. Dazu kommt noch das Arbeitsethos: Arbeit gilt als Lebenserfüllung. Negativ gewendet heißt das aber: wer nicht arbeitet, hat auch nichts verdient.
Darüber hinaus wird nicht wahrgenommen, dass es zwar genügend Arbeit gibt, diese aber nicht den hohen Verwertungsansprüchen des Kapitals genügt und somit von diesem nicht oder nicht ausreichend bezahlt werden kann. Die Folgen sind hohe Arbeitslosigkeit, der Abbau tariflich bezahlter Arbeitsplätze und die Tatsache, dass die Menschen zu dieser nicht Kapitalverwertenden Arbeit direkt oder subtiler gezwungen werden müssen. Dazu muss man sich nur an die Werbekampagne der ZDF Moderatorin Marietta Slomka erinnern ("4 Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich ehrenamtlich. Eine gute Nachricht."), an die Aufwertung der Ehrenämter denken oder sich beispielsweise den Tag der Arbeit für Kinder in Afrika am 22. Juni 2006 ansehen. Um es klar zu stellen, alle diese Kampagnen haben einen mehr oder weniger sinnvollen Kern. Aber sie bereiten auch den Boden dafür, unbezahlte Arbeit zu akzeptieren und aufzuwerten.

Beim Aktionstag "Berufseinstieg in der Endlosschleife - wie geht es weiter mit der Generation Praktikum", der vor kurzem in Leipzig stattgefunden hat, war auch die Absageagentur anwesend. Was habt ihr dort genau gemacht? (Kannst du ein Beispiel nennen für eine Leipziger Institution, der eine Absage erteilt wurde?)
Wir haben auf Einladung der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. - Regionalgruppe Leipzig, des powiplus - Freundeskreis Politikwissenschaft e.V. und des Sächsisches Bildungswerk der deutschen Gesellschaft e.V. einen Stand vor der Universität Leipzig aufgebaut. Dort konnten Absagen geschrieben, Absagen aus vorherigen Aktionen gelesen und sich über das Thema Arbeit informiert werden. Es wurden Absagen an die Bildzeitung, an die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung, an die Deutsche Handelskammer für Spanien, an die SPD Landesverband Berlin und andere Unternehmen und Institutionen geschrieben. Wir wurden oft gefragt, ob denn schon Unternehmen geantwortet hätten. Es haben bisher kaum Unternehmen geantwortet und darum geht es uns auch nicht in erster Linie. Wir wollen ja eine Änderung im Verhalten und im Bewusstsein der Lohnabhängigen erreichen und weniger Unternehmen zum Umdenken bewegen. Denn diese müssen ihrer Kapitalverwertungslogik folgen und wenn die Lohnabhängigen warten, bis die Unternehmen ihnen bessere Angebote machen - worauf die gesamte Politik mit ihrer Wirtschaftsstandortrhetorik setzt - wird sich nichts ändern.

Welche Motivation hatten die Leipziger Studenten deiner Meinung nach, Absagen für Praktika zu schreiben? Eher persönlicher Frust oder ideologische Gründe?
Ich denke, der Frustanteil ist weitaus höher. Der Frust, unbezahlte Praktika machen und nebenbei auch noch irgendwie Geld verdienen zu müssen, sofern man nicht das Glück hat, von irgendwem subventioniert zu werden, ist weit verbreitet. Um diesen Frust anzusprechen und in einen emanzipatorischen politischen Widerstand zu formen, sind oftmals nicht (nur) politische Informationsveranstaltungen hilfreich, sondern andere Aktionsarten gefragt. Deshalb haben wir die Persiflage auf die Agentur für Arbeit als Ausgangspunkt gewählt. Und wir wollten keine Stellvertreterpolitik betreiben und den Menschen vorschreiben, was sie tun und denken sollen. Wir bieten ihnen einfach eine Form an (Absagen zu schreiben), die sie mit ihrer Kritik anfüllen können, solange sie nicht nationalistisch, rassistisch oder sexistisch ist.
Wir hoffen allerdings mit unserer Aktion auch etwas zum ideologischen Background beizutragen und diesen zu kanalisieren. Denn folgt man den gängigen parteipolitischen und gewerkschaftlichen Diskursen, kann man leicht dem nationalen Standortdiskurs verfallen und nach den "Schwächeren" treten: den Ausländern, den Arbeitsunfähigen, den schlecht Ausgebildeten und den angeblichen Sozialschmarotzern. Dies ist die eine Seite wie im politischen Diskurs der Frust versucht wird zu lenken. Die andere Seite gibt vor die "Stärkeren" anzugreifen. Damit meine ich die Debatten, um hohe Managergehälter, die letztlich nur Neiddebatten sind oder der nationalistische Diskurs, das "gute" deutsche Kapital wird von ausländischen "Heuschreckenkapitalisten" oder Hedgefonds überrannt. Diese Diskurse bedienen und fördern einen strukturellen Antisemitismus. Alles, was Arbeit schafft, muss nicht sozial sein und schon gar nicht ist alles sozial, was nationale Arbeit schafft.

Man hört oft den Satz: "Man müsste schlecht und unbezahlte Praktika geschlossen boykottieren, dann wären die Arbeitgeber gezwungen, feste Stellen mit einem fairen Lohn anzubieten." Ist das ein Ziel der Absageagentur?
Aus dem bisher Gesagten sollte klar geworden sein, dass dies natürlich ein Ziel ist, das sich nicht nur auf Praktika beschränkt. Man muss dabei aber den ökonomischen Zwang seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen und das tradierte und verinnerlichte Arbeitsethos berücksichtigen, und das Problem international betrachten.

Wie kann gegen das Problem der Generation Praktikum - bzw. die Prekarisierung von Arbeit generell - vorgegangen werden?
Zunächst muss unserer Meinung dazu, die Perspektive erweitert werden, d.h. der tatsächlich vorhandene Frust durch vielfältige Aktionsformen den eben beschriebenen beiden Seiten der gewerkschaftlichen/standortpolitischen Diskurse entrissen werden. Die Lohnabhängigen müssen aus ihrer defensiven Opferhaltung herauskommen und stärkere Ansprüche geltend machen und sich so weit das möglich ist mehr verweigern.

Die Absageagentur wirbt mit dem Satz: "Wir gehen umgekehrte Wege." Versteht ihr euch als Parodie zur Agentur für Arbeit?
Die Bundesagentur für Arbeit sehen wir als Durchsetzungsinstitution der Forderung, man müsse arbeiten um jeden Preis. Dem wollen wir etwas entgegen setzen und haben deshalb das Design und die Selbsteinschätzung der Bundesagentur für Arbeit als Dienstleister übernommen.

Sind zurzeit weitere Aktionen der Absageagentur (wie z.B. in Leipzig) geplant?
Vom 14. bis 24. September werden wir wieder in Berlin aktiv. Im Rahmen der Theatermesse werden wir einen Stand haben, wo kostenlos Absagen geschrieben werden können und Diskussionsveranstaltungen stattfinden. Seit einem halben Jahr gibt es auch einen Ableger in Österreich: den Absageservice.

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