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Hintergrund und Verlauf des ProjektesUm die Hintergründe und den Verlauf dieses Projektes zu beleuchten, veröffentlichen wir an dieser Stelle ein (leicht überarbeitetes) Interview, das wir der italienischen Internetzeitschrift Invisibili gaben:Mit dem Leipziger Stadtmagazin Kreuzer. Interview_Leipzig und mit dem Internetmagazin quick and dirty (http://quickanddirty.politicide.net) Interview_quick Die Absageagentur bietet den kostenlosen Service an, Absagen an Stelle von Bewerbungen zu verschicken. Unsere "Kund/innen" können sowohl im Internet (www.absageagentur.de) als auch vom 01.04.2005 bis zum 15.05.2005 in unserem Büro in Berlin Stellenanzeigen aussuchen, der sie eine Absage schreiben wollen. Wir helfen bei der Formulierung und verschicken die Absagen kostenlos an die Arbeitgeber. Wir haben dazu drei Standardformulierungen entwickelt, sehen es aber lieber, wenn unsere "Kund/innen" selbst formulierte Absagen schreiben. Denn unser Projekt hat einen offenen Charakter: nicht wir wollen den Menschen vorschreiben, warum sie gerade dieser oder jener Firma eine Absage schreiben und aus welchen Gründen. Sie sollen ihre Kritik selbst äußern, wir liefern nur die Form dazu. Wie wurde die Idee zu diesem Projekt geboren? Die Idee zur Absageagentur ist im Frühjahr 2004 entstanden. Zu dieser Zeit gab es in Deutschland heftige öffentliche Debatten über Arbeitsmarktreformen, die sich besonders mit der Einführung von Hartz IV zum 01.01.2005 beschäftigten. Es ist der größte Eingriff in das Sozialstaatsgefüge Deutschlands seit 1945, was natürlich maßgebliche ökonomische und soziale Verschlechterungen für Viele bedeutet. Neben zahllosen Kürzungen im sozialen Bereich können Arbeitslose nun unabhängig von ihrer Qualifikation zu allen Arbeiten gezwungen werden. Gleichzeitig wurden so genannte "Ein-Euro-Jobs" eingeführt, wodurch Sozialhilfeempfänger wieder dem "Arbeitsmarkt zugeführt werden sollen". Real werden dadurch reguläre Arbeitsplätze vernichtet und billige Arbeitskräfte geschaffen, die keine Arbeitnehmerrechte mehr haben. Vor diesem Hintergrund hatten wir den Wunsch, in die öffentliche Debatte um Arbeit einzugreifen und einen symbolischen Akt gegen die Fetischisierung von Arbeit zu leisten. So kam uns die Idee, den Spieß umzudrehen und an Stelle von Anbiederungen an den unattraktiven Arbeitsmarkt Absagen zu schreiben. Ihr orientiert euch gestalterisch an der Arbeitsagentur für Arbeit. Ist dies auch inhaltlich begründet? Die Absageagentur sieht sich als Persiflage auf die Agentur für Arbeit. Wir sehen die Agentur für Arbeit als Verkörperung und Überspitzung der Haltung, man müsse arbeiten um jeden Preis. Wer als Hartz IV-Empfänger/in nicht den festen Willen zeigt, jede (noch so uninteressante oder unterbezahlte) Arbeit anzunehmen und nicht bis zu 20 Bewerbungen im Monat schreibt, dem drohen Leistungskürzungen. Warum sollten Leute eure Hilfe in Anspruch nehmen? Wer hat euren Service bis jetzt genutzt? Für uns hat das Projekt einen experimentellen Charakter. Als wir damit begannen, wussten wir nicht, ob überhaupt jemand eine Absage schreibt. Mittlerweile haben wir schon über 90 Briefe weitergeleitet. Die Gründe dafür, eine Absage zu schreiben, sind vielfältig, was an der offenen Form des Projektes liegt. Vielleicht kann man die Gründe, warum Menschen unseren Service nutzen, in drei Gruppen einteilen, wobei es häufig Überschneidungen gibt. Die kritischste Gruppe schreibt Absagen, weil sie die Identifikation des Menschen über Arbeit ablehnt und unsere Aktion dazu nutzt, das Prinzip "Arbeit bestimmt den Wert eines Menschen" in Frage zu stellen. Die zweite Gruppe will konkrete Praxen von Branchen oder Stellenanbietern demaskieren, weil es üblich geworden ist, Stellen mit unbezahlten Praktikanten zu besetzen und unterbezahlte Arbeitsplätze unter immer schlechteren Arbeitsbedingungen anzubieten. Dies ist möglich, weil sich immer genügend Menschen finden, die solche Arbeit dennoch annehmen. In dieser Gruppe von Absage-Schreibern ist der Anteil an Freiberuflern, Selbständigen und Menschen, die im Kunst- oder Kulturbetrieb arbeiten, am größten, weil sich dort prekäre Beschäftigungsverhältnisse massiv ausbreiten. Die letzte Gruppe nutzt die Absagen, um persönlichen Frust über missglückte Bewerbungen, das aktuelle Arbeitsverhältnis oder Druck vom Arbeitsamt abzulassen. Sie treten aus ihrer defensiven oder resignierten Haltung heraus und kommunizieren wieder auf gleicher Augenhöhe mit den Arbeitgebern. Ich denke, euer Projekt ist nicht zuletzt deswegen interessant, weil es einen vorbildlichen Charakter haben kann. Wenn immer mehr Arbeiter/innen eine schlecht bezahlte Arbeit ablehnen, könnte dadurch ein Mangel an Arbeitskräften entstehen. Dann wären Firmen gezwungen, bessere Arbeitsplätze zu besseren Löhnen anzubieten. Wurde diese Sichtweise in eurem Projekt mitgedacht? Damit zusammenhängend: Fordert ihr schlicht bessere Arbeitsbedingungen für alle, oder wollt ihr auch der Arbeit an sich entfliehen? Wir glauben nicht, dass wir mit unserer Aktion "die Arbeiterschaft" dazu bringen können, so viele schlecht bezahlte Jobs abzulehnen, dass die Arbeitgeber bessere Bedingungen anbieten müssen. Das wäre zwar schön, ist aber nicht unser Anspruch. Einerseits, weil Viele gezwungen sind, jeden Job anzunehmen, um leben zu können. Andererseits, weil es nicht unser Ziel ist, abhängige Beschäftigung zu fördern. Es ist zwar wichtig, schlechte Arbeitsbedingungen öffentlich zu machen und sie abzulehnen, aber die Identifizierung über Arbeit und die Ausbeutung der Arbeitskraft sind damit nicht wirklich angegriffen. Denn solange sich das gesellschaftliche Leben durch Erwerbsarbeit strukturiert und der Wert eines Menschen über das Prestige seiner Arbeitsstelle definiert wird, werden die Menschen, um an der Gesellschaft teilzuhaben, lieber unter schlechten Bedingungen oder unbezahlt arbeiten als gar nicht zu arbeiten. Um bessere Arbeitsbedingungen für alle zu fordern, müssen die Menschen als allererstes ihren Ansprüchen - zumindest im Geiste - treu bleiben. Sich die eigenen Ansprüche wieder bewusst zu machen und sich öffentlich dazu zu bekennen ist daher das Hauptanliegen der Absageagentur. Dazu kann auch die Einsicht zählen, dass man Geld und nicht Arbeit braucht. Wir schließen uns folgendem Zitat von Viviane Forrester an, die in ihrem Buch "Die Diktatur des Profits" schreibt: "Verhängnisvoll ist weniger das Fehlen von Arbeitsplätzen als die skandalösen Lebensbedingungen der Betroffenen, die Zurückweisung, das Unbehagen, das allen aufgezwungen wird, die arbeitslos werden. Und die Angst der riesigen Mehrheit, die sich aus Furcht vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze immer stärkeren Zwängen unterwirft." Erst wenn unser Stellenwert nicht mehr allein über Arbeit definiert wird, kann der Mangel an Erwerbsarbeit nicht mehr als Druck- und Herrschaftsmittel eingesetzt werden. Was haltet ihr von der Idee des so genanten "Existenzgeldes"? Wir denken, dass ein Existenzgeld oder Bürgergeld für die Empfänger/innen der erste Schritt in die Richtung wäre, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dabei darf es natürlich keinen Arbeitszwang geben und das Geld muss ausreichen, um tatsächlich würdig leben zu können. D.h. es müssen damit sowohl Freizeit- als auch kulturelle Aktivitäten finanzierbar sein: um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, muss es - anders als bei Hartz IV- Empfänger/innen - finanziell möglich sein, ins Theater oder ins Kino zu gehen oder einen Café auf der Strasse zu trinken. Dennoch sehen wir auch bei Existenz- oder Bürgergeld die Gefahr, dass sich die Menschen weiterhin über Erwerbsarbeit definieren und so eine Zweiklassengesellschaft entsteht: auf der einen Seite die Menschen, die Arbeit haben und auf der anderen Seite die Menschen, die Existenz- bzw. Bürgergeld bekommen. So lange es als unmoralisch angesehen wird, nicht zu arbeiten, wird sich daran nichts ändern. Was kann/sollte eurer Meinung nach getan werden, um prekäre Arbeitsverhältnisse zu bekämpfen? Wir haben da kein Allheilrezept. Grundsätzlich halten wir es für zentral, den Wert von Arbeit zu kritisieren, in ersten Schritten schlechte Jobs abzulehnen und ein ausreichendes Existenzgeld ohne Arbeitszwang zu fordern. Bis dahin kann die relative Autonomie von prekären Jobverhältnissen, sofern sie nicht zu ökonomischen Missständen führt, für Einzelne auch vorteilhaft sein. Für Viele ist sie das sicherlich nicht. Man muss bei dieser Diskussion aber beachten, dass prekäre Beschäftigung im Verborgenen schon immer ein Grundpfeiler kapitalistischer Strukturen war. Bislang waren in erster Linie Frauen und (illegalisierte) Migrant/innen von prekären Beschäftigungsverhältnissen betroffen: sie sind diejenigen, die, beispielsweise durch das Putzen ganzer Bürokomplexe, einen reibungslosen Ablauf des Großstadtlebens garantieren. Sofern diese Menschen keinen europäischen Pass besitzen, werden sie auch an einem Existenzgeld nicht teilhaben. |